Santiago – „Vacaciones del Viaje“

26 01 2011

08. – 12.01.2011, Tag 95 – 99

Heute müssen wir für chilenische Verhältnisse früh aufstehen, da Valentin um 10.20 Uhr landet. Aber wir wären keine echten Chilenen (und da habe ich mich sofort angepasst^^) wenn wir nicht auf den letzten Drücker fahren würden. Ich bin gespannt wie der Empfang abläuft, denn dazu muss man vielleicht kurz erläutern was es hier heisst jemanden zu begrüssen: Eine normale Begrüssung, wenn man sich ein paar Tage nicht gesehen hat, würde bei uns einem Wiedersehen nach mehreren Monaten gleich kommen. Ein Abschied, auch wenn er nur bis zum nächsten Tag ist und den Amanda scherzhaft “das Drama” nennt, wirkt als würde man den anderen auf unbestimmte Zeit nicht wiedersehen. Nach Besito und Umarmung stehen am Ende alle an der Strasse und winken. Eine sehr sympathische Sache wie ich finde. Als wir am Flughafen ankommen ist der Flieger gerade gelandet, perfektes Tming. Um die Vorfreude auf die Ankommenden noch zu steigern gibt es am Flughafen von Santiago eine Fensterfront von der aus man den Raum mit den Gepäckbändern quasi observieren kann. Ständig brechen Leute neben uns in Euphorie aus, kreichen, winken und trommeln an die Scheibe. Nach etwa einer halben Stunde ist es bei uns auch soweit und der Hauptdarsteller des heutigen Tages betritt die “Bühne”. Noch ein paar Minuten gespanntes Warten bis der Koffer da ist und dann beginnt die oben geschilderte Zeremonie.

Nachdem Valentin gut 20 Stunden unterwegs ist darf er jetzt nicht etwa ins Bett, sondern es geht zum Auftakt des Ess-Marathons zu Ximena zum Frühstück. Als wir dann am frühen Nachmittag im Haus der Grosseltern ankommen, gehen wir (während das Mittagessen vorbereitet wird…) auf den Markt, der um die Ecke beginnt und einige Strassenblocks durch das Viertel führt. Auf dem Weg plaudern wir über allerlei u.a. unseren ersten Individualurlaub. Ich habe nämlich vor ein paar Tagen gerade darüber nachgedacht wann ich meine erste wikrlich selbst organisierte Reise gemacht habe. Erst dachte ich an die Zeit nach den Pauschalurlauben, aber dann fiel mir ein, dass wir bereits mit 15 Jahren zu viert mit den Fahrrädern ins etwa 100 km entfernte Amorbach gefahren sind und dort gezeltet haben. Auf dem Rückweg sind wir dann in einen Dauerregen gekommen und mein Vater musste 4 klatschnasse “Abenteurer” irgendwo auf einer Strassenkreuzung in Aschaffenburg einsammeln, weil es (uns) zu nass und zu kalt war um weiter zu fahren. Die restlichen Heimweg sassen wir dann mit unseren Fahrrädern auf der Pritsche unseres Lastwagen, im echten Traveller-Stil 😉 Das und viele weitere Geschichten lassen den Nachmittag sehr kurzweilig werden. Nach dem 2. Essen des Tages (insgesamt werden es am Ende vier Mahlzeiten sein!), werden wir in die Kunst chilenischer Würfelspiel eingeweiht. Das Spiel ist angeblich ähnlich wie Poker, nur das mein meiner Ansicht nach machen darf was man will…sogar Würfel einfach auf die Rückseite drehen. Wenn Valentin nicht genau die gleichen Probleme beim Verständnis des Spiels hätte würde ich denken ich werde über den Tisch gezogen^^ Aber durch die unzähligen Möglichkeiten sich am Ende doch einen guten Wurf zurecht zu rücken sind irgendwie immer alle glücklich, typisch chilenisch würde ich sagen 😉 Danach wird im Hof eine grosse Tafel aufgebaut an der dann alle Familienmitglieder, die zur Begrüssung vorbeikommen (heute “nur” 13 Personen), Platz finden, insgesamt. So lassen wir den Tag mit Kuchen essen und Abendbrot ausklingen. Jetzt hat mein „Urlaub von der Reise“, wie ich die Zeit in Santiago zurückblickend gerne nenne, richtig begonnen.

Sonntags sind wir bei Maria Elena zum “Asado” eingeladen. Das Anwesen (und so kann man es wirklich bezeichnen) im Weinbaugebiet Pirque, etwas südlich von Santiago, kenne ich schon von unserer Chile-Reise 2009. Damals hatten wir dort mit 25 Personen im Garten gezeltet und die unzähligen Freizeitmöglichkeiten ausgenutzt, die das Gelände bietet. Neben einem Volleyballfeld und Fussballtoren, Tischkicker und Tischtennisplatte befindet sich zwischen der grossen Terasse und dem Grillhäuschen als Highlight der Swimmingpool. Ich würde sagen es ist sowas wie da Familien-Freizeitpark und deshalb sind heute auch viele (nicht alle) da. Insgesamt 19 Personen, inklusive eines deutschen, was laut Amanda etwa ein Drittel der Familie ist. Gegrillt werden hier nicht Würstchen oder dünne Steaks wie wir sie kennen, sondern “echtes” Fleisch! Nach dem Essen leihe ich mir Ivannas Laptop um nach Deutschland zu skypen. Währendessen werden draussen die Mannschaften für das Volleyballturnier ausgelost und es entbrennt ein Jubel als ich meine Zettel mit dem Buchstaben “B” zeige. Wenn die wüssten, das ich für Ballspiele mit den Händen noch untalentierter bin als mit den Füssen… Während des telefonierens komme ich auf die Idee den Laptop in die Runde zu halten, damit alle Hallo sagen können. Einem ersten für hiesige Verhältnisse zaghaften Winken folgen „Chi- Chi- Chi-, -le, -le, le – Sprechchöre“ und ein Jubel bricht aus. Damit aber nicht genug, den ein Chilene lässt sich nicht mit einer einfachen Gemeinschaftsaktion abspeisen. Hier zählt noch die persönliche Kontaktaufnahme und als ich dann zum sprechen wieder ins Haus gehe kommen nacheinander fast alle an den Bildschirm um meine Eltern persönlich zu grüssen. Durch ihre Südamerika-Reise vor fast genau 30 Jahren und die Besuche der Familienmitglieder in Deutschland kennen sie sich natürlich auch und so werden auch die Spanisch-Kenntnisse meiner Mutter überprüft. Als dann unser Hund Bobby ins Bild kommt entbrennt eine neue Begeisterungswelle und ich werde vor dem Bildschirm fast erdrückt^^ Ich muss das hier einfach mal so detailiert schildern, da man sich diese Begeisterungsfähigkeit bei uns überhaupt nicht vorstellen kann. Anschliessend bekomme ich dann die Geschichten von Besuchen in Deutschland u.a. auch im Haus meiner Familie erzählt. Bei den meisten war ich noch recht jung, doch ich erinner mich durchaus, dass einige male Gäste aus Chile bei uns waren. Und ich bin begeistert welche Details sie noch kennen, das sie in unserer Wohnküche gesessen haben, die Schreinerei und Modeleisenbahn meines Vaters gesehen haben und im Garten bei meiner Oma waren. Andererseits werde ich die Momente von diesen Aufenthalt sicher auch ewig im Gedächtnis behalten!

Während meiner Abwesenheit wurden draussen die Schlachtrufe der einzelnen Teams ausgearbeitet (das ist kein Scherz!). Und so gibt es vor dem Turnier, das auf Video festgehalten wird, erstmal eine Choreographie. Während wir unseren Schlachtruf: “Saqué, pegué, remaché – somos del Equipo Beeee!” ausrufen, machen wir dazu die passenden Bewegungen, da es sich wohl um Begriffe aus dem Volleyball handelt. Unser Konkurenten haben für dieses Spektakel sogar Plakate gemalt. Mit Schiedsrichter und Anfeuerungen von der Zuschauertribüne geht es dann auch los. Man muss das nochmal wiederholen: Wer in Deutschland kann ein familieninternes Volleyballturnier starten und hat dabei sogar noch einen Teil der Familie als Zuschauer?! Zu meiner Überraschung gewinnen wir alle Spiele, bestreiten dann aber trotzdem nochmal ein Endspiel. Valentin und ich einigen uns darauf, dass es wie beim Würfeln ist, am Ende haben alls irgendwie gewonnen. Anschliessend wird das Netz abgehängt, damit das Fussballfeld frei wird. In einem 7 gegen 7, bei dem sogar Don Hugo nochmal sein Können zeigt, liefern wir uns ein heisses Spiel, bei dem ansonsten vor allem die Frauen überraschen. Zum Abschlus geht es zur Abkühlung nochmal in den Pool. Und so endet ein toller Nachmittag mit einer tollen Familie und es fällt mir ziemlich schwer meine Abreise zu planen…

Nachdem ich am folgenden Tag meine Fähre in den Süden gebucht und um ein paar organisatorische Dinge gekümmert habe, geht es nochmal ins Zentrum, wo wir uns mit Ximena am Turm der Telefongesellschaft “Telefonica” treffen. Dort wartet noch ein besonderer Leckerbissen auf mich: Eigentlich ist der Turm, welcher in der Bauweise an ein Handy erinnern soll, für Besucher nicht zugänglich. Ximena, die bei der Telefongesellschaft arbeitet hat uns aber Besucherausweise organisiert mit denen wir auf die Terasse im 31. Stock dürfen! Ein toller und absolut exklusiver Ausblick, der sich uns von dort oben über die gesamte Stadt und auf die angrenzenden Anden bietet. Das Ende der 5 Mio.-Einwohner Metropole kann man aber auch von hier nicht erkennen, da es leider irgendwann im Smog versinkt, der über der Stadt liegt. Den Weg nach unten nehmen Valentin und ich die Treppen, man muss ja was tun bei der ganzen Esserei^^ Nach einem kleinen Rundgang durch das angrenzende Barrio Bellavista fahren wir mit dem Bus nach Maipu, wo wir von Jorge abgeholt werden. Auf der Terasse steht eine Tischtennisplatte und davor der Fernseher. Allerdings sollen wir hier nicht spielen, sondern es wird nochmal gegessen und zwar Completos! Wir schauen uns ein paar Videos an, Pisco wird ausgeschenkt und am Ende weihen wir beim Thema Folklore die Chilenen in die Kunst des “Schunkelns” ein.

Der 11.01.2011 ist für mich ein besonderer Tag: Ich richte meine erste Party in Südamerika aus! Nachdem ich die letzten Tage einer Einladung nach der anderen gefolgt bin, wird es nun Zeit auch mal aktiv zu werden und danke zu sagen für die tolle Zeit, die ich hier hatte. Gleichzeitg feiere ich so meinen Abschied, da ich morgen Abend nach fast 10 Tagen abreisen werde. Die längste Zeit, die ich auf dieser Reise an einem Ort vebracht habe. Vorher steht noch das Probepacken an. Wie bereits erwähnt wird Valentin einige meiner Dinge nach Deutschland transportieren und ich plane mit “leichtem Gepäck” weiter zu reisen. Als die Waage immer noch 20 kg zeigt hole ich Amanda dazu um mir beim “abspecken” zu helfen. Immerhin 2 weitere Kilos werde ich dadurch noch los, aber mehr geht nicht, da ich die warme Kleidung und Campingsausrüstung für meine Tour nach Patagonien und Feuerland brauche. Anschliessend geht es in den Supermarkt zum einkaufen. Da dort das Fleisch nicht optimal aussieht fahren wir in einen anderen Supermarkt, der besser sein soll, da er von einem Deutschen geführt wird. Überhaupt steht hier deutsch oder “Aleman” für Qualität und so zeigt man vor seinem Geschäft auch gerne mal eine deutsche Fahne. Dazu gibt es noch so nette Bezeichnungen wie Schoppothek oder Schopperia, die tatsächlich von der deutschen Bezeichnung für Bier abgeleitet ist.

Wir kaufen 20 kg Fleisch, was ich für 18 Personen für zu viel halte, aber ich vertraue mal den Profis. Eingeladen haben wir ab 18.00 Uhr, aber auch nur, wie Amanda sagt, damit nicht alle erst um zehn kommen, sondern “schon” um neun^^ So haben wir noch genug Zeit alles vorzubereiten, wobei ich eigentlich nur an eine einfache Runde gedacht hatte. Doch nun wird der Carport mit Vorhängen abgehängt, eine lange Tafel aufgebaut, wie ich sie noch an keiner Geburtstagsfeier hatte. Dazwischen wird der Grill angeheizt, mit einer Methode die Valentin (haha^^) den “Indianertrick” nennt. Eine Flasche wird mit Zeitungspapier umwickelt, dann Kohle darum aufgehäuft und die Flasche herausgezogen. Zündet man nun die Zeitung an, wirkt der entstandene Schacht wie ein Vulkan und die Kohle brennt sofort. Trotz der kurzfristigen Einladung hat sich jeder etwas überlegt und so bekomme ich nun gleich zwei chilenische (Mini-)Hüte, die zukünftig meine Tasche zieren werden, 4 Flaschen Wein (wo ich gerade mein Gepäck erleichtert habe^^) und einen Kuchen. Dazu haben Ximena und ihre Familie irgendwo ein “I Love Santiago” Shirt für meine Schwester aufgetrieben, was ich den letzten Tagen desöfteren verzweilfelt gesucht habe. Ich würde ihnen sogar zutrauen, dass sie es extra haben drucken lassen 😉

Nach alle dem kommt nun der Moment um Danke zu sagen. Als das Fleisch serviert ist, wird es Zeit für meine erste Rede auf Spanisch. Ich habe mir vorher einiges überlegt, davon aber die hälfte wieder vergessen, aber wenn ich in die Augen um mich herum sehe merke ich, das sie verstanden haben was ich meine. Die Zeit hier war einfach nur der Wahnsinn, wie man mich hier aufgenommen hat, wieviele Gedanken man sich gemacht hat und die Möglichkeiten die mir geboten wurden die Stadt und das Leben der Menschen hier kennen zu lernen sind einzigartig. Man sagt ja immer so schön man will Land und Leute kennen lernen, bisher waren die “Leute” aber meist welche, die irgendwie mit dem Tourismus in Verbindung stehen. Das ist hier anders, das ist alles echt, das ist das Leben und ich bin dankbar dafür daran eine Zeitlang teilgenommen zu haben zu dürfen: Muchas muchas Gracias!

Nach mir ergreift Valentin das Wort und im Laufe des Essens lässt es sich keiner nehmen auch nochmal was zu sagen. Sie bedanken sich ebenfalls und finden es toll nun auch nochmal ihre eigene Stadt ein Stück mehr kennengelernt haben. Wirklich viele ergreifende Momente und die Messlatte dafür wurde nun ziemlich hochgelegt… Aber geht natürlich nicht nur ums Abschied nehmen, sondern es gibt auch noch einen lustigen Teil. Als Amanda die Gitarre herausholt beginnt ein Trinkspiel, bei welchem alle Monate durchgesungen werden und wer in dem genannten Monat Geburtstag hat aufstehen und sein Glas leeren muss. Als alle Monate durch sind folgen andere Gründe noch mehr zu trinken, beispielsweise wer blonde Haar hat, wer ein blaues Shirt trägt, er einen schwarzen Ohrring hat und viele weitere von denen es mir so vorkommt als müsse es immer auf mich zutreffen 😉 Danach zeige ich noch ein paar Bilder der Reise und als wir in Chile und anschliessend in Santiago ankommen brennt heller Jubel auf. Ein wunderschöner Abend, den ich so schnell nicht vergessen werde. Als zu fortgeschrittener Zeit alle gegangen sind machen Valentin und ich uns noch über den Wein her, da ich ihn unmöglich mitnehmen kann. Von der Unterhaltung bleibt uns beiden nicht viel, ausser das der Film „Into the Wild“ einen „Braveheart“ verdient hat^^

Am nächsten Morgen habe ich den ersten richtigen Kater meiner Reise. Bier, Wein, Pisco-Cola und alles nicht in kleinen Mengen, damit habe ich heute zu kämpfen. Den Tag über herrscht echte Abschiedsstimmung. Ich packe, räume mein Lager und irgendwie ist der Tag dann plötzlich auch rum und ich muss zum Terminal. Nach einer herzlichen Verabschiedung von Amanda, Valentin und den Grosseltern fällt es mir schon recht schwer in den Bus zu steigen. Ich habe in der Zeit hier (neben dem „kostenlosen Sprachkurs“) unheimlich viel über die Menschen gelernt, die Freude und der Optimismus mit dem sie alles angehen, die Wärme und die Herzlichkeit sind einfach unbeschreiblich. Natürlich gibt es hier auch Probleme, aber ich denke die Mentalität macht das Leben immer um vieles einfacher, wo unsereins es deutlich schwerer haben würde. So hänge ich meinen Gedanken nach während wir uns durch das Fenster ein letztes mal zuwinken, und wie schon bei der letzten Reise bleibt wieder „ein Teil von mir“ in Chile…




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